Die EZB hat die Vorbereitungsphase für den digitalen Euro offiziell gestartet. Das Baby hat bereits einen Spitznamen. Aber taugt der „Lagardecoin“ auch was? Und warum ist der digitale Euro eine Bedrohung für Digitalwährungen, Stablecoins und große Tech-Konzerne – und eine Steilvorlage für Blockchain-basierte Einlagen bei den Geschäftsbanken?
Die Europäische Zentralbank (EZB) geht den nächsten Schritt bei der Entwicklung eines digitalen Euros. Der EZB-Rat hat Mitte Oktober die sogenannte „Vorbereitungsphase“ für das digitale Zentralbankgeld gestartet. Diese soll zwei Jahre dauern. Stimmen danach die Mitgliedstaaten der EU und das Europäische Parlament der Einführung zu, könnte der „Lagardecoin“ ab dem Jahr 2027 tatsächlich kommen. Andere Zentralbanken, zum Beispiel die US-amerikanische Fed, sind da vorsichtiger. Deren Präsident Jerome Powell zeigte sich „unschlüssig“, ob die Vorteile einer digitalen Zentralbankwährung die Kosten wirklich überwiegen würden.
Was den Fed-Chef umtreibt: Eine digitale Währung hätte das Potential, private Innovationen der weltweit dominanten US-Finanzindustrie zu ersticken. Zudem würde deren Infrastruktur nicht unerhebliche laufende Kosten verursachen. Die EZB ficht das nicht an. Dort betrachtet man den digitalen Euro als eine Chance für Europa, sich an die Spitze der internationalen Debatte über digitale Zentralbankwährungen zu setzen Diese latente Hybris wird auch dadurch gefördert, dass man sich bei der EZB als Ergebnis aus der jetzt abgeschlossenen Untersuchungsphase ein vermeintliches Goldilock-Szenario für den digitalen Euro ausgedacht hat.
Der Autor Olaf Schlotmann geht in einem Interview näher auf das Thema "digitaler Euro" ein. Hier geht es zum Youtube-Video.
Machen Lagarde & Co wirklich Ernst, böte die aufzubauende Infrastruktur eines digitalen Euros den Anbietern von europäischen Zahlungsdienstleistungen, allen voran der „European Payments Initiative“ eine starke Plattform für Innovationen. Dies wäre eine Kampfansage an Big-Tech-Companies und US-amerikanische Kreditkartenbetreiber, die derzeit beeindruckende Marktanteile im digitalen Zahlungsverkehr besitzen.
So stellt sich die EZB den digitalen Euro vor
Wie genau stellt sich die EZB den digitalen Euro eigentlich vor? Verschiedene Äußerungen von EZB-Vertretern lassen auf folgendes Design des Lagardecoin schließen: Nicht so viel im Umlauf, dass Verbraucher und Unternehmen Ersparnisse oder Liquidität zur Zentralbank verlagern könnten, aber auch nicht so wenig, dass der digitale Euro irrelevant wäre. Am Ende hätten die Bürger die Option, bis zu einer bestimmten Summe digitales Zentralbankgeld zu halten. Eine mengenmäßige Begrenzung der digitalen Eurobestände pro digitaler Geldbörse würde die Nutzung des digitalen Euros zur Wertaufbewahrung verhindern. Das ist wichtig, weil sonst wahrscheinlich viele Menschen ihre Ersparnisse von Geschäftsbanken zur absolut ausfallsicheren Zentralbank verlagern würden.
Wenn am Ende aber jede digitale Euro-Geldbörse mit einem Bankkonto verknüpft wäre, könnten Transaktionen, bei denen der eingegangene Betrag das maximale Guthaben des Nutzers in digitalen Euros übersteigt, automatisch auf dessen Bankkonto überwiesen werden. Für Firmenkunden, insbesondere für Händler, die digitale Euro-Zahlungen in größerem Umfang akzeptieren möchten, wäre dies ausgesprochen praktisch, was dazu führen könnte, dass ein digitaler Euro rege Nutzung erfahren würde.
Es gibt aber noch einen strategischen Aspekt, der weit über die tägliche Nutzung des digitalen Euros als Zahlungsmittel hinausreicht: Da der Lagardecoin auch für den Online-Einkauf geeignet sein soll, könnte er präemptiv verhindern, dass Amazon, Paypal und Co. mit einer eigenen digitalen Währung einen relevanten Marktanteil erobern könnten. Aus Sicht der EZB wäre dies das positive Ergebnis einer „Hit-and-Stay“-Strategie, deren Kern es ist, ein allgemein akzeptiertes, sicheres und vertrauenswürdiges digitales Zahlungsmittel bereitzustellen, dessen Emittent kein kommerzielles Interesse an der Erhebung von Verbraucherdaten hat.
Der Todesstoß für Stablecoins von Amazon, Paypal & Co.?
Wenn Technokraten allerdings Mondlandungen versuchen, sind Fehlzündungen immer ein echtes Risiko. Im Fall des digitalen Euros sind das konkret die möglicherweise hohen Einführungskosten sowie die Nebenwirkung, dass ein digitaler Euro Innovationen privater Unternehmen auf diesem Gebiet verdrängen könnte. Aber möglicherweise ist dies sogar das Ziel der EZB, denn tatsächlich dürfte sie allein schon mit der Ankündigung ihrer „Hit and stay“-Strategie Mitte Oktober für Amazon und Co. die Perspektiven auf ein profitables Geschäftsmodell rund um eine digitale Währung zerschlagen haben.
Schließlich gesellen sich zu dem potentiellen Wettbewerb durch digitales Zentralbankgeld schon jetzt die Zinswende sowie die 2024 in Kraft tretende „Markets in Crypto Assets Regulation“-Verordnung, kurz MiCA. Zusammengenommen ist dieser Cocktail nahezu ein Todesstoß für private Stablecoins, die mithilfe von digitalen Peer-to-Peer-Token den Massenzahlungsverkehr von Industriestaaten mit programmierbarem Geld, Instant Payment und niedrigen Transaktionskosten aufmischen wollten. Dies zeigen die Beispiele der Token von Paypal und Tether. „Tokenisierung“ ist der Prozess der Darstellung von Ansprüchen in digitaler Form, was es ermöglicht, Zahlungen auf programmierbaren Plattformen unter Verwendung von intelligenten Verträgen abzuwickeln.
Bei der Einführung seines eigenen Paypal Stablecoin Token im August 2023 prahlte der CEO von PayPal noch damit, dass es sein könne, das Paypal in fünf Jahren auf die Stablecoin-Einführung als eines der wichtigsten und innovativsten Dinge zurückblicken werde, die das Unternehmen je in Angriff genommen habe. Das Paypal Stablecoin würde – so der Paypal-Chef weiter – die führende Währung für internationale Überweisungen und Mikrozahlungen in Echtzeit werden, und das zu einem Bruchteil der aktuellen Kosten.
Kann sich wenigstens Tether behaupten?
In Anbetracht dieser vollmundigen Vision ist die Leistung des Paypal Stablecoins bisher allerdings wenig überzeugend. Eigentlich hatten viele „Kryptoexperten“ aus der Szene erwartet, dass ein Stablecoin, der von einem Zahlungsriesen wie Paypal unterstützt wird, eine starke Konkurrenz für etablierte Projekte dieser Art darstellen würde, insbesondere für den Platzhirsch Tether. Stattdessen ist aktuell weniger als ein Fünftel der von Paypal emittierten Stablecoins in Höhe von 44,37 Millionen US-Dollar im Umlauf, den Rest hält Paypal indirekt selbst.
Auf dem Chart zum Emissionsvolumen von Stablecoins ist das Paypal Stablecoin überhaupt nicht zu sehen, so klein ist das Projekt. Aber auch der Platzhirsch Tether (Kurve ist grün/türkis) tut sich mit Wachstum schwer. Es konnte zwar von der kurzfristigen Vertrauenskrise des zweitplatzierten Konkurrenten Circle (dunkelblau) profitieren, stagniert seitdem aber bei rund 80 Milliarden US-Dollar.
Quelle:
https://defillama.com/stablecoins
Dennoch hat es Tether besser als Paypal, ist es doch in erster Linie ein wichtiger Bestandteil bei Investitionen in spekulative Krypto-Token auf offenen dezentralen Blockchain-Netzwerken. Statt als Zahlungsmittel verwenden Nutzer Tether als Besicherung für Investionen in Kryptoassets auf der dezentralen Blockchain oder verleihen es in dezentralen Lendingpools an andere Investoren für deren Besicherungszwecke. Und hier liegt der Hase im Pfeffer: Bis heute korreliert das Emissionsvolumen von Tether stark mit der Performance spekulativer Krypto-Assets.
Stablecoins ohne Verzinsung werden es schwer haben als digitales Zahlungsmittel
Ein grundsätzliches Dilemma setzt der der Branche schwer zu: Wer eigentlich steckt bei den von der Notenbank gesteuerten Zinsen von aktuell rund 4 Prozent seine Liquidität zur Wertaufbewahrung noch in von Tether begebene, unverzinste Stableblecoins, während der Emittent die Erträge aus der vorgehaltenen Reserve als „Seniorage“, also als Zinsgewinn einstreicht? In dieser neuen Zinsumgebung ist für Stablecoin-Emittenten kein nennenswerter Bodensatz aus dem Zahlungsverkehr zu erzielen, da Nutzer Stablecoins nur kurzfristig gegen Bankdepositen erwerben werden, während Zahlungsempfänger den Betrag in Stablecoins alsbald aus der dezentralen Blockchain-Welt zurück in das Bankensystem transferieren dürften.
Im Zahlungsverkehr entstehen so kaum neue Stablecoins, denn sie gehen meistens nach Kauf und Zahlung sofort wieder unter. Das ist auch das Problem von Amazon trotz ca. 500 Millarden US-Dollar Jahresumsatz. Wachstum im Zahlungsverkehr ist damit für private Stablecoins höchstens noch in Entwicklungsländern mit schwachen eigenen Währungen und mit dort getätigten Zahlungen in harter Währung möglich. In Industrieländern ergäbe sich erst dann wieder ein tragfähiges Geschäftsmodell für Zahlungsverkehr mit privaten Stablecoins, wenn Emittenten wie Tether den Haltern von Stablecoins auch einen Zins zahlen. Substanz für einen solchen Schachzug wäre immerhin gegeben: Bei gut 80 Milliarden Dollar Volumen und einem angenommenen Zins von 5 Prozent dürfte Tether gut 4 Milliarden Dollar im Jahr an Seniorage erzielen – eine Menge Geld. Erste kleinere Emittenten haben bereits in den USA damit begonnen, ihre Stablecoins zu verzinsen.
Am Ende gewinnen die europäischen Banken
Wer aber denkt, dass eine Verzinsung die Rettung für die privaten Stablecoins im Zahlungsverkehr ist, hat in Euroland die Rechnung ohne die Regulierung gemacht, die an dieser Stelle der EZB hilft, das Zahlungsverkehrs-Geschäftsmodell von privaten Stablecoins sehr klein zu halten. Die 2024 in Kraft tretende MiCA-Verordnung regelt den Umgang mit digitalen Krypto-Assets und enthält unter anderem eine Zinsverbots- und Vorteilsklausel, die verhindern soll, dass sich Stablecoin-Emittenten wie Banken verhalten. Stehen Largardecoin und MiCA nun für ein dauerhaftes „Crowding out“ privater Innovationen im Zahlungsverkehr?
Und müssen wir deshalb auf Blockchain-Technik und Echtzeittransaktionen zu niedrigen Kosten verzichten? Zunächst einmal ist festzustellen: Heute scheinen wir nichts zu vermissen. Beim Einkauf an der Kasse tippen wir unsere Debit- oder Kreditkarten- Geheimnummern ein oder ziehen die Karten einfach durch die Kassenterminals. Oder wir verwenden die Apps von Apple Pay, Google Pay oder Paypal und bezahlen mit unseren Smartphones, indem wir unsere dort hinterlegten Debit- oder Kreditkarten digital zur Zahlung präsentieren. Nüchtern betrachtet ist es bei all dem geschäftstüchtigen Hype um die Digitalisierung des Zahlungsverkehrs schlicht und einfach so: Fast alle innovativen Zahlungssysteme werden immer noch über das traditionelle Bankensystem abgewickelt, und ein Ende dessen ist nicht abzusehen, denn die digitale Zukunft des Zahlungsverkehrs sind aus heutiger Sicht tokenisierte Bankeinlagen mit verbesserter technischer Funktionalität. Der Bankensektor schläft ja nicht, sondern übernimmt einfach das Beste aus den Innovationen der Stablecoins und liefert auch noch die Einlagengarantie dazu.
On–Chain Bankeinlagen sind das wirtschaftliche Äquivalent bestehender Bankeinlagen
Innovative On-Chain-Bankeinlagen beziehen sich auf tokenisierte Einlagenforderungen gegen eine Bank für festgelegte Beträge, die auf einer genehmigten, zentralen Blockchain des Bankensystems mit speziellem Zugang oder Zugriffsrechten aufgezeichnet sind. Sie sind das wirtschaftliche Äquivalent bestehender Bankeinlagen und können für Zahlungen, die Abwicklung von Geschäften zwischen digitalen Vermögenswerten und allgemein als Wertaufbewahrungs- und Tauschmittel verwendet werden. Zahlungsvorgänge gleichen der Praxis des derzeitigen zweistufigen Geldsystems, bei dem das Konto des Senders belastet und dem Konto des Empfängers gutgeschrieben wird, wobei die Abrechnung in der Bilanz der Zentralbank erfolgt.
Durch die Anwendung der Blockchain-Technologie können also auch Zahlungen, die mit Geschäftsbankgeld getätigt werden, von der Programmierbarkeit, der sofortigen Abwicklung von Transaktionen in Echtzeit und schnellem grenzüberschreitendem Zahlungsverkehr profitieren, und dass unter dem Schutz der bestehenden Einlagensicherungssysteme und mit deutlich sinkenden Transaktionskosten. Wenn das alles so kommt, haben EZB und Bankaufseher in Euroland mit Lagardecoin und MiCA wirklich ein Szenario geschaffen, bei dem Amazon, PayPal, Tether und Co. im Zahlungsverkehr, dank Abkehr von Minus- und Nullzinsen und E-Commerce Option des digitalen Euros nicht auf kostendeckende Marktanteile kommen werden, wenn sie planen sollten, eigene Währungen oder Stablecoins auszugeben oder mit Wachstum außerhalb der Kryptospekulation zu rechnen.
Die nächsten Innovationssprünge im europäischen Zahlungsverkehr werden stattdessen eher von den Banken kommen. Für uns alle heißt das: In die Zukunft des digitalen Euros, aber auch in Innovationen wie Einlagen auf der Blockchain sollte man besser zu Fuß gehen und nicht rennen.
Author: Christina Thomas
Last Updated: 1700294882
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